Leonard Cohen, Dichter und Sänger

Leonard Cohen
Leonard Cohen strahlt voller Altersweisheit. Wenn man sich einen Auftritt seiner letzten Tournee ansieht (ich habe das mit der DVD seines Londoner Konzerts 2008 getan, 2010 war ich bei einem Konzert in Hannover), fällt einem die gelassen-bescheidene Haltung des Mannes auf. Seine Lieder intoniert er sehr klar, beinahe wie beschwörende Gebete. Bei den Musikern bedankt er sich mit einer Verbeugung vor jedem Einzelnen. Und er ist der Komponist von „Anthem“, jener Hymne, die für die Männerbewegung um Richard Rohr adäquater Ausdruck einer entscheidenen Erkenntnis ist.

 

 

 

 

Anthem

The birds they sang
at the break of day
Start again
I heard them say
Don’t dwell on what
has passed away
or what is yet to be.
Ah the wars they will
be fought again
The holy dove
She will be caught again
bought and sold
and bought again
the dove is never free.

Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack in everything
That’s how the light gets in.

We asked for signs
the signs were sent:
the birth betrayed
the marriage spent
Yeah the widowhood
of every government —
signs for all to see.

I can’t run no more
with that lawless crowd
while the killers in high places
say their prayers out loud.
But they’ve summoned, they’ve summoned up
a thundercloud
and they’re going to hear from me.

Ring the bells that still can ring …

You can add up the parts
but you won’t have the sum
You can strike up the march,
there is no drum
Every heart, every heart
to love will come
but like a refugee.

Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in.

Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in.
That’s how the light gets in.
That’s how the light gets in.

(Eine Übersetzung ins Deutsche befindet sich hier.)

„Es gibt einen Riss in allem,
dadurch dringt das Licht herein“

Über diese zwei Zeilen des Refrains soll der Sängerkollege Lou Reed gesagt haben: „Wenn man so etwas geschrieben hat, kann man sich zur Ruhe setzen.“ Hat er glücklicher Weise nicht gemacht und die Altersweisheit des 75-jährigen ist das Resultat des Durchlebens vieler Risse/Brüche in seinem Leben.

In einem Interview im Jahre 1994 sagte der Interviewer zu diesen Zeilen, dass es ja kein glücklicher Gedanke wäre, wenn man daran glauben würde, dass alles immer brechen müsste, damit Licht hereinkäme. Cohens Antwort (von mir übersetzt):

„Es ist ein glücklicher Gedanke, wenn wir an der Wahrheit Gefallen finden. Es gibt immer etwas, das zerbrechen muss. Normalerweise ist es unser persönlicher Stolz.

Ein buddhistischer Denker sagte, dass Enttäuschung ein großartiger Weg zur Erleuchtung ist. Andere Meister sagten: „Aus dem zerbrochenen Schutt meines Herzens will ich dem Herrn einen Altar errichten.“

Die Vorstellung, dass es eine Treppe aus Gold und Marmor gibt, die zum Wissen führt, ist verführerisch, aber mir scheint die Vorstellung, das wir etwas Gebrochenes brauchen, bevor wir irgendetwas lernen können, eine zutreffendere Vorstellung zu sein. Das ist meine Erfahrung; möglicherweise können Sie dem entfliehen, aber ich bezweifele es. Wenn das Herz nicht bricht, werden wir nie etwas über die Liebe wissen. Solange unser objektives Universum nicht einstürzt, werden wir nie etwas über die Welt wissen.

Wir denken, dass wir den Mechanismus kennen, aber erst wenn er runterfällt, verstehen wir, wie kompliziert und geheimnisvoll das Funktionieren ist. Deshalb ist es wahr: „Es gibt einen Riss in allem“, alle menschlichen Aktivitäten sind unvollkommen und unvollendet. Nur in dieser Weise bekommen wir eine Ahnung, dass es etwas in uns gibt, das nur durch Enttäuschung, Unglück und Niederlage geortet werden kann. Bedauerlicherweise scheint es so zu sein.“

Zum Schluß sagt er noch etwas über Weisheit: „Ein Freund von mir sagt immer, dass man Weisheit durch Lesen der großen Bücher erreichen kann. Ich weiß nicht, ob das wahr ist. Ich verbringe die meiste Zeit des Jahres in einem Zen – Kloster, mit meinem Rücken aufrecht und meinen Beinen gekreuzt.

Ich glaube, dass das wahrhafte Dichten eine bestimmte Art von Weisheit vermittelt, die wir nicht haben, sondern zu der wir nur der Weg sind. Wenn ich in das langsame und schmerzhafte Schreiben eines Liedes hineindringe, sind es bestimmte Realitäten, die größer und besser als ich sind, die sich bekunden und ich habe nicht mehr die Befehlsgewalt. Der Rest ist nur mein persönliches, dummes und chaotisches Leben.“