Interview mit dem Biobäcker Hermann Falkenberg

Durch Krankheit ist dem erfolgreichen Unternehmer Hermann Falkenberg vor einigen Jahren aufgegangen, dass er sich zu sehr mit der beruflichen Rolle identifiziert und darüber die Beziehung zu seiner Seele aus dem Blick verloren hatte. Indem er die Signale seines erkrankten Körpers ernst nahm und sich neu ausrichtete, hat er zu dem zurückgefunden, was er die „innere Quelle“ nennt. Ich erlebe ihn als einen Mann, der stets das auszudrücken versucht, was ihn innerlich bewegt, der nicht vom Kopf sondern vom Herzen her spricht. Seine Lebensgeschichte ist bewegt und gewährt einen Blick auf die Studentenbewegung, alternative Lebensstile, die neuere Entwicklung der Naturkost – Bewegung (insbesondere Biobackwaren), Marburger Geschichte der letzten 30 Jahre und das Streben nach spiritueller Erneuerung im Loslassen der Angst.

 

 

Die politische Aufbruchbewegung der späten 60er- und frühen 70er-Jahre wirkt sich intensiv auf seinen Lebensweg aus. Zunächst wird der gleiche Beruf Zöllner wie beim Vater angestrebt. Als Bundeswehrsoldat lernt er Leute mit Abitur und einer anderen Weltsicht kennen und nach der Ernennung zum Gefreiten verweigert er den Kriegsdienst. Er macht nach seiner Anerkennung Ersatzdienst und beginnt mit der Abendschule. Die weitere Ausbildung zum Zöllner lehnt er ab mit dem Argument: „In eine paramilitärische Bewegung werde ich nicht mehr eintreten.“

hermann_falkenberg_2Mitte der siebziger Jahre zieht er mit einer Gruppe von 20 Mitabiturienten nach Marburg, um die im Abendgymnasium erfahrene marxistische Aufklärung über gesellschaftliche Zusammenhänge durch ein Studium der Politologie und Soziologie zu vertiefen. Formen gemeinsamen Wohnens werden erprobt. Über alles wird geredet und diskutiert. Arbeit wird im Kollektiv organisiert. Mitarbeit in einem Baukollektiv für ein Jahr. Start eines Psychologstudiums, Theaterspiel, Musik machen. Kontakt zu einer „Kräuterhexe“ weckt sein Interesse für Gartenbau. Einkauf von Bioprodukten. 1980 fängt er an zu backen, nachdem er früher in England erste Erfahrungen darin gemacht hatte. Als Kind war sein „zweites Zuhause“ die Bäckerfamilie eines Freundes, mit der er viel Zeit verbringt. Die Liebe zur Natur stammt auch aus dieser Zeit. 1980 wird er zum erstenmal Vater: ein einschneidendes Erlebnis. Die Tochter muß gesund ernährt werden. Er backt Brot, gibt es an Freunde weiter und verkauft es auch an andere.

Die Trennung von der Mutter der Tochter bringt ihn in eine andere Gruppe von Leuten. Hier findet er auch seine spätere Ehefrau. Sechs Leute ziehen aufs Land, um Landwirtschaft zu betreiben und Hermann will eine Hofbäckerei aufbauen. Das Projekt scheitert jedoch auch an den unterschiedlichen Vorstellungen von Kindererziehung und der Beziehung zu den neugeborenen Kindern. Das Projekt einer Selbstversorger – Landwirtschaft unternimmt er jetzt allein und studiert nebenher. Seine Frau beginnt nach dem Studium zu arbeiten, während er mit dem gemeinsamen Sohn zuhause bleibt. 1985 lernt er eine Gruppe von Leuten kennen, die in Marburg eine Biobäckerei gründen wollen. Ende des Jahres ist eine GmbH gegründet und der Betrieb startet im Februar 1986. Bis 1992 läuft der Betrieb als Kollektivorganisation, alle machen alles, bekommen Einheitslohn und sind auch Geschäftsführer. Die Krankenkasse schiebt dann gerichtlich dieser Form einen Riegel vor.

Aber auch die Erfahrung mangelhafter Arbeitsorganisation, Unzufriedenheit über die Löhne und der Drang zu professionelleren Vorgehensweisen führen über eine Krise zur Neuaufstellung. Die Kollektivisten verlassen nach und nach die Bäckerei und neue Angestellte kommen hinzu. Jetzt prägt er als einer der beiden Geschäftsführer und Gesellschafter der Marburger Biobäckerei Siebenkorn(external link) viele Jahre die expansive Geschäftspolitik. Die kreative Kraft wird in neue Produkte, neue Läden, Erforschung der Kundenwünsche etc. investiert.

Die beruflichen Anstrengungen führen zu einer Vernachlässigung der Gesundheit. „Ich war wie blind für mich.“ 2005 wird eine Krebserkrankung festgestellt. Der dadurch ausgelöste Schock bewirkt dann viel. Die notwendige Operation wird für ihn zum Anlass, sich vertrauensvoll einer höheren Fügung zu überlassen. Die initiatische Erfahrung des Ein- und Loslassens bringt ihm eine neue spirituelle Orientierung, die aus einer inneren Kraft zu schöpfen lernt. Das dadurch neu geschenkte Leben gibt ihm ein anderes Gefühl zu sich selbst. Das Loslösen von der Angst wird wichtig, die er als einen auch von den Eltern übernommenen Motor seines Handelns erkennt. Aber neue Krankheiten zwingen den wieder voll Arbeitenden dazu, sich seiner spezifischen Muster bewußt zu werden, die er als zum Tode führend erkennt. „Ich trete ein für Loslassen und für Freude.“

Ein spontaner Besuch im Kloster fühlt sich für ihn wie ein Nach – Hause – Kommen an. Ruhe und Zurückgezogenheit im Alleinsein werden ihm wichtig. Bei seiner Großmutter hatte er als Kind bei ihrer Religionspraxis das Gefühl: „Das Innere lebt“. Er möchte ebenfalls der Intuition trauen. Die Folgen eines Burnout – Syndroms bringen ihn schließlich zum Ausstieg aus der beruflichen Tätigkeit. Mit professioneller Hilfe setzt er sich mit der Angst auseinander. Er kann das Thema so bearbeiten, dass „das innere Erleben gestärkt wurde und ich meine eigene, innere Quelle sehen konnte.“ Das Göttliche ortet er jetzt in sich selbst, seine Spiritualität wird vertieft. Das Verhältnis zu seiner Familie, zu Freunden und seine Männlichkeit rücken in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. In der beratenden Begleitung für Unternehmensgründer sieht er eine neue Aufgabenstellung, die seinem Lebensalter entspricht.

Mann wird nicht als weise geboren. Wenn Erfahrungen des Lebens zur Einsicht führen, kann man sich in einer gelassenen Haltung neu formieren. Dann entsteht Weisheit, die nach außen strahlt und ihre Wirkung auf ein dafür bereites Auge nicht verfehlt. Was Hermann zu sagen hat, gleicht einer Gabe aus der Quelle für andere.

Das Gespräch habe ich mit ihm am 22. März 2010 in seinem Haus geführt. Wir haben uns 143 Minuten lang unterhalten. Das Interview kann über den folgenden Link heruntergeladen werden:
falkenberg_hermann_20100322