Was ist Weisheit?

Weise Männer haben sich einer bestimmten Kraft angeschlossen, die mit „Weisheit“ sehr gut bezeichnet ist. Das hängt mit der Ideengeschichte dieses Begriffes in verschiedenen religiösen Traditionen zusammen, wo sie in jeweils ähnlichen Zusammenhängen eine zentrale Rolle spielt. Richard Rohr bietet eine exzellente Definition, die auf die praktische Ebene zielt.

„Wisdom emerges from what you do with your pain“, schreibt er in seinem Buch Things Hidden (Deutsch: „Ins Herz geschrieben: Die Weisheit der Bibel als spiritueller Weg“).

Weisheit entwickelt sich aus dem, wie du mit deinem Schmerz umgehst.

Wenn ich einen Schmerz verspüre, beginnt normalerweise sogleich die Suche nach der Ursache. Was oder wer ist dafür verantwortlich? Wen kann ich „da draußen“ für mein Unwohlsein verantwortlich machen? Wenn dieser eingebaute Sündenbock- Mechanismus nicht überwunden wird, entsteht keine Weisheit.

Weisheit ist die Überwindung der Dualität. Nur wer mit Paradoxen leben kann, ist weise. „Weisheit sieht alles gleichzeitig und spaltet die Realität nicht auf. Weisheit gehört niemals nur mir allein, sondern ist immer eine geteilte Erfahrung.“ (Richard Rohr, Pure Präsenz, 174)

Wenn ich dem Schmerz nicht ausweiche, der sich mir in diesem Moment eröffnet, ihn wahrnehme und halte, erhalte ich Zugang zum Bereich der Weisheit. „… Weisheit ist einfach die Freiheit, präsent zu sein. Weise Menschen wissen, wie man präsent ist, aber es geht um viel mehr: Präsenz ist Weisheit! Menschen, die ganz in der Gegenwart sind, vermögen vollständig, treffend und wahrhaftig zu sehen. Präsenz ist das Eine, was nötig ist – und zugleich in vielfacher Hinsicht das Allerschwerste. Versuche einfach, das Herz offen zu halten, den Verstand freizuhalten von Spaltung und Abwehr und nicht körperlich irgendwo anders zu sein! Präsenz ist die praktische und tägliche Herausforderung jeder reifen Form von Religion und aller spirituellen Übungen.“ (Richard Rohr, Pure Präsenz, 68)